Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“: Sobibor

Im März 1942 begann der Bau des zweiten Lagers der „Aktion Reinhardt“, ca. 5 km vom Fluß Bug und dem Dorf Sobibor entfernt, gelegen im östlichen Teil des Distrikts Lublin, nahe der Bahnlinie Chelm-Wlodawa. Mitte April des Jahres, kurz vor Fertigstellung des Vernichtungslagers, führte man wie auch in Belzec experimentelle Vergasungen durch, etwa zwei Wochen später begannen die Massenvergasungen. Dieses Todeslager, das sich an der Konzeption und dem Ablauf des ersten Lagers der „Aktion Reinhardt“ Belzec orientierte, wurde von ca. 90 bis 120 Trawniki-Männern bewacht. Die Befehls- und Verwaltungspositionen hatten 20 bis 25 deutsche SS-Männer inne. Kommandant des Lagers war SS-Obersturmführer Franz Stangl, den im September 1942 SS-Hauptsturmführer Franz Reichleitner ablöste.

Sobibor war in Form eines Rechteckes von 400 x 600 Meter angelegt. Gesichert mit Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen, war der Lagerkomplex in Vorlager, Garnisonsbereich und vier Lagersektoren eingeteilt. Diese Sektoren waren gesondert mit Stacheldraht umzäunt. Im Vorlager befanden sich die Rampe, die Platz für 20 Waggons bot, Unterkünfte für die SS-Männer und die „Trawnikis“ sowie diverse Funktionsgebäude. Lager I, das durch einen Wassergraben und eine Umzäunung gesichert war, beherbergte die Wohnbaracken der jüdischen Arbeitshäftlinge, die Lagerküche, das Lebensmittelmagazin, eine Krankenbaracke, verschiedene Werkstätten und die „Sortierbaracken“. Hier arbeiteten rund 50 Personen. In Lager II befanden sich das Verwaltungsgebäude, Ställe, Magazine und die Entkleidungsbaracken. Die zunächst drei Gaskammern und der Bereich der Massengräber sowie Küche und Wohnbaracke des jüdischen Sonderkommandos lagen im vollständig isolierten Lager III. Im Sommer 1943 ließ die SS Lager IV anlegen, wo Jüdinnen erbeutete sowjetische Munition sortieren mussten.

Die ankommenden Jüdinnen und Juden stiegen an der Rampe aus. Dort wähnten sie sich an einem ganz normalen Bahnhof, gab es doch zur Täuschung z. B. eine Bahnhofsuhr. Zur Bahnlinie Chelm-Wlodawa hin bestand die Absicherung aus einem hohen Holzzaun. Unter strenger Bewachung wurden sie in das Lager II gebracht. Wie auch in Belzec wurde den Neuankömmlingen die Verteilung auf Arbeitslager versprochen. Zur Vorbeugung gegen die Ausbreitung von Seuchen müsse aber erst gebadet und die Kleidung desinfiziert werden. Älteren Menschen und Kranken wurde medizinische Versorgung zugesagt. Tatsächlich transportierte man sie bis zu den Leichengruben im Lager III und erschoss sie. Die Deportierten trennte man nach Geschlecht. Nach Abgabe der Wertsachen, dem Entkleiden und dem Haareschneiden bei den Frauen passierten die Deportierten einen ca. 150 Meter langen, drei Meter breiten Sandweg, beidseitig durch Stacheldraht und Kiefernzweige nach außen abgeschirmt. Diese Passage wurde in der Lagersprache „Himmelfahrtsweg“ genannt und führte direkt in die Gaskammern, die im streng abgeschirmten Lager III standen. Wie auch in Belzec benutzte man kein „Zyklon B“, sondern Motorenabgase. Häftlinge des jüdischen Sonderkommandos mussten die Leichen aus den Gaskammern entfernen und in Massengräbern verscharren. Als sich in der ganzen Umgebung Verwesungsgeruch ausbreitete, ließ die SS von den Männern des Sonderkommandos die sterblichen Überreste exhumieren und verbrennen. In der ersten Phase der Massenvernichtung (Mai - Ende Juli 1942), die durch Reparaturen an der Bahnlinie Lublin-Chelm vorläufig endete, fanden in Sobibor 90.000 bis 100.000 Menschen den Tod. Diese Opfer stammten hauptsächlich aus dem Distrikt Lublin, aber auch aus Böhmen und Mähren, der Slowakei, Deutschland und Österreich. Bis zur Fertigstellung der Arbeiten an der Eisenbahnlinie im Oktober 1942 erreichten nur wenige Transporte aus der näheren Umgebung das Lager. In dieser Zeit ließ die SS fünf neue Gaskammern bauen.

In der zweiten Phase (Oktober 1942 bis Juni 1943) trafen auch Deportationszüge aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden ein. Insgesamt wird die Zahl der Opfer auf 170.000 bis 238.000 geschätzt. Da es immer wieder zu Fluchtversuchen von Häftlingen kam, aber auch zum Schutz vor Partisanenüberfällen, legte die SS im Sommer 1943 einen Minengürtel um das Lager an. Im Juli 1943 bildete sich unter den jüdischen Häftlingen der Arbeitskommandos eine Widerstandsgruppe unter der Leitung Leon Feldhendlers, dem ehemaligen Vorsitzenden des Judenrates im Ghetto Zolkiew. Der jüdische Offizier der Roten Armee, Sascha Pechersky, übernahm bald nach seiner Ankunft im Lager die Führung der Gruppe. Am 14. Oktober 1943 begann der Häftlingsaufstand. In dessen Verlauf wurden 10 SS-Männer und zwei Volksdeutsche von den Häftlingen getötet, mehrere schwer verwundet. Zunächst konnten 320 der insgesamt 550 Gefangenen entkommen. Die SS veranstaltete eine beispiellose Hetzjagd auf sie, nur 58 der geflohenen Häftlinge überlebten. Nach der Erschießung der gefassten Flüchtlinge und der letzten noch in Sobibor verbliebene Häftlinge im November 1943 wurde das Lager aufgelöst. Heute befindet sich auf dem ehemaligen Lagergelände eine Gedenkstätte mit Museum. Mindestens 28 Münchner Jüdinnen und Juden wurden in Sobibor ermordet. Wahrscheinlich tötete die SS auch nach Piaski Deportierte in diesem Vernichtungslager.

Wie auch in der Umgebung von Belzec wusste die Bevölkerung in der gesamten Gegend vom Massenmord an den Juden in Sobibor. Verwesungsgeruch, Feuerschein und voll ankommende, aber leer zurückfahrende Züge konnte die SS nicht verbergen.