Emigration und Exil

Die antisemitische Politik des NS-Regimes sorgte bereits 1933 für eine erste größere Emigrationswelle aus München. Allein in diesem Jahr verließen 565 jüdische Bürgerinnen und Bürger die Stadt; die meisten versuchten ihr Glück in Palästina. Andere verlegten ihren Lebensmittelpunkt in die deutschsprachigen Nachbarländer Österreich und Schweiz oder wanderten nach England und in die USA aus. Die, die blieben, klammerten sich an die trügerische Hoffnung, dass das Hitler-Regime nur eine vorübergehende Episode sein werde. Pogrome gegen Juden, enthemmte Gewalt und ungezügelter Mord schienen in Deutschland unvorstellbar.

Doch die brutale Rücksichtslosigkeit der neuen Machthaber belehrte die vorsichtig Abwartenden eines Besseren. Jahr für Jahr verließen jetzt hunderte jüdische Münchnerinnen und Münchnern ihre Heimatstadt. Bis Ende 1939 waren ca. 6.000 Personen ins Ausland emigriert; die jüdische Gemeinde hatte mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Am stärksten wirkte sich die Zuspitzung der Gewalt während und nach der „Reichskristallnacht“ im November 1938 aus. In den Monaten nach den Pogromen verließen so viele Menschen wie noch nie das Land. 1939 kehrten annähernd 2.300 Männer, Frauen und Kinder ihrer Heimatstadt München, die ihnen nicht länger Heimat sein wollte, den Rücken.

Die Emigranten retteten zwar ihr Leben, und doch verloren sie viel. Ihr Vermögen hatte ihnen der NS-Staat bereits nahezu komplett entzogen. Jetzt ließen sie auch ihre soziale und kulturelle Lebenswelt hinter sich. Besonders von Dichtern, Publizisten und Wissenschaftlern wurde der Verlust der Muttersprache schmerzhaft empfunden. Schalom Ben-Chorin, der 1913 als Fritz Rosenthal in München geborene und 1935 nach Palästina emigrierte Dichter und Religionsphilosoph, brachte diesen Sachverhalt auf den Punkt: „Ein Land kann man verlassen, mit dem Volk die Beziehungen abbrechen, aber die Sprache ist so sehr Teil unserer eigenen Existenz, dass es hier keine Trennung geben kann. […] Aus der Sprache bin ich nie ausgewandert, und ich schreibe auch heute diese Erinnerungen in der Sprache, die mir nicht welkte.“

 

Emigration aus München 1933–1942 [1]

 

USA1.729
Großbritanntien1.124
Palästina767
Schweiz429
Italien322
Frankreich269
Niederlande206
Tschechoslowakei126
Argentinien119
Belgien117
Shanghai111
Österreich94
Brasilien90
Polen76
Südafrika70
Uruguay54
Kuba52
Ungarn48
Jugoslawien38
Australien34
Bolivien25
Schweden24
Luxemburg21
Kolumbien20
Türkei20
Liechentstein18
Spanien17
Chile16
Ecuador13
Rhodesien13
Neuseeland12
Paraguay12
Sonstige302
Insgesamt6.388

[1] Aufstellung nach: Andreas Heusler und Andrea Sinn (Hg.), Die Erfahrung des Exils. Vertreibung, Emigration und Neuanfang. Ein Münchner Lesebuch, München 2015.