Jüdische Anlernwerkstätten
Biederstein 7, Reichenbachstraße 27

Handwerkliche Fähigkeiten galten als Qualifikationsmerksmal für die Auswanderung nach Palästina als besonders wertvoll. Deshalb beantragte der Verband Bayerischer Israelitischer Gemeinden im Sommer 1936 die Einrichtung einer „Unterrichtsanstalt zur Ausbildung jüdischer Jugendlicher als Handwerker“ in der aufgelassenen Hesselberg’schen Lederfabrik am Biederstein 7. Die Genehmigung für den Antrag wurde erst 20 Monate später und nur unter der Auflage erteilt, dass all jene, die mit der Ausbildung fertig waren, sofort emigrierten. Der Abschluss berechtigte ausdrücklich nicht zur Berufsausübung in Deutschland. Deshalb war das Zeugnis der Absolventen mit dem gut leserlichen Vermerk „Zeugnis für Auswanderer“ versehen.

Trotz fehlender Genehmigung hatte die Anlerwerkstätte ihren Lehrbetrieb bereits im August 1937 aufgenommen. In der Anstalt wurden Schlosser, Elektriker und Tischler ausgebildet. Die Ausstattung der Arbeitsräume war sehr gut. Moderne Maschinen zur Metall- und Holzverarbeitung waren vorhanden, ebenso ein reichhaltiges Materiallager. Die Lehrlinge erhielten neben ihrer praktischen Ausbildung 12 bis 15 Wochenstunden theoretischen Unterricht in Rechnen, Werkzeug- und Materiallehre, Fachzeichnen, Buchführung, Geschäftskorrespondenz und Wirtschaftskunde. Im Schuljahr 1938/39 besuchten 91 Lehrlinge die Anstalt. Ein Drittel davon wurde in Metallberufen ausgebildet, der Rest zu Tischlern. Neben den jugendlichen Lehrlingen erhielten auch ausreisewillige Erwachsene Unterricht in Schweißtechnik und Möbelherstellung.

1939 schlossen die Nationalsozialisten die Anlernwerkstatt und beschlagnahmten das Gebäude. Auf Anweisung der Gestapo wurde die Werkstatt in die während der „Kristallnacht“ verwüstete ehemalige Synagoge der osteuropäischen Juden in der Reichenbachstraße 27 verlegt. Hier erhielten in den zwei folgenden Jahren ca. 100 jüdische Jugendliche aus ganz Deutschland eine Ausbildung. Viele von ihnen wohnten im Lehrlingsheim in der Hohenzollernstraße. Leiter der Werkstatt war der Diplomingenieur Fritz Sänger. Anfang 1942 löste die Gestapo die Werkstatt auf. Werkzeuge und Maschinen wurden einer HJ-Schule übereignet.