Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“: Belzec
Im November 1941 begann die SS in der Nähe des südöstlich von Lublin gelegenen Dorfes Belzec mit dem Bau eines Lagers. Für die Bauarbeiten zogen sie Handwerker aus dem Ort Belzec, ab November 1941 auch Trawniki-Männer und ab Januar 1942 jüdische Zwangsarbeiter aus dem nahe gelegenen Libycza Królewska heran. Das Lager befand auf einem Hügel in einigen 100 Metern Entfernung zum örtlichen Bahnhof der Strecke Lublin-Lemberg und hatte eine verhältnismäßig kleine Grundfläche von ca. 275 x 265 Metern. Ende Februar 1942 führte die SS in den fertiggestellten drei Gaskammern einen „Probelauf“ mit Kohlenmonoxid aus einem Panzermotor durch. Die Opfer waren jüdische Häftlinge, die zum Bau des Lagers eingesetzt worden waren, und die jüdische Bevölkerung aus Lubycza Królewska. Erster Kommandant war SS-Hauptsturmführer Christian Wirth, ehemaliger Inspekteur aller „Euthanasie“-Anstalten, sein Nachfolger wurde SS-Obersturmführer Gottlieb Hering. Am 17. März 1942 erreichte der erste Transport mit 1.400 Bewohnern des Lubliner Ghettos das Vernichtungslager. In den darauffolgenden vier Wochen wurden bereits 80.000 Menschen im Lager ermordet. Fast täglich erreichten Transporte aus dem Distrikt Lublin und aus dem östlichen Galizien Belzec. Die neu ankommenden Deportationszüge fuhren auf dem 200 Meter langen Bahngleis durch das Lagertor zur Rampe. In der ersten Phase bis April 1942 wurden jeweils Menschen aus 10 – 15 Waggons getötet. Während einer „Transportsperre“ zwischen Mitte April und Mitte Mai 1942 ließ die SS das Lager umbauen. Man beschloss den Bau neuer Gaskammern, die Aufnahmekapazität der bisherigen drei Gaskammern war zu gering für die laufend ankommenden Transporte. Es gab nun zwei Gleise und sechs aus Ziegeln gemauerte Gaskammern. Mitte Juli waren die Umbauten beendet, und die Phase 2 begann. Täglich erreichten jetzt drei bis vier Züge das Vernichtungslager. In der zweiten Phase von Juli bis Dezember 1942 konnten insgesamt jeweils 40 Waggons auf das Gelände des Lagers I gebracht werden. Gesichert war Belzec mit einem doppelten Zaun aus Stacheldraht, Maschendraht und Wachtürmen. Die Wachmannschaft bestand aus ca. 90 bis 120 Trawniki-Männern.
Von außen war das Vernichtungslager durch Bäume getarnt. Die ankommenden Opfer empfing eine – manchmal mit Lautsprecher übertragene – Rede Wirths. Ihnen gaukelte man vor, sie wären in dem „Durchgangslager“ Belzec angekommen und würden bald in verschiedene Arbeitslager aufgeteilt. Um die Menschen zu beruhigen, erklärte Wirth, alle müssten baden und ihre Kleidung desinfizieren lassen, Frauen bekämen wegen drohendem Läusebefall die Haare abgeschnitten. Nun vollzog sich die Trennung der Männer von den Frauen und Kindern. Die männlichen Häftlinge durchliefen den Weg vom „Empfangsplatz“, einem umzäunten Hof, in Gruppen von 750 Personen im Laufschritt, nachdem sie ihre Schuhe zusammengebunden abgeben hatten. Unterwegs mussten sie ihre Kleidungsstücke und Wertsachen an die SS-Männer abliefern, bis sie nackt am Anfang der „Schleuse“ ankamen. Diese war ein 2 Meter breiter und 100 Meter langer Weg, auf beiden Seiten mit einem 3 Meter hohen Stacheldrahtzaun versehen und mit Zweigen getarnt. Der schmale Pfad verband die Entkleidungsbaracken des Lagers I mit den Gaskammern des Lagers II. Am Ende der „Schleuse“ trieben Trawniki-Männer die Opfer unter Schlägen und Einsatz ihrer Bajonette in die Gaskammern, ein SS-Mann startete den Vergasungsmotor . Nach ungefähr 20 Minuten waren die Menschen tot. Nun musste das jüdische Sonderkommando die Ermordeten mittels Loren zu den hinter den Gaskammern befindlichen Massengräbern befördern. Die Leichen wurden nach Wertsachen durchsucht, Goldzähne extrahiert. Zwischenzeitlich fand die Reinigung der „Schleuse“ und der Gaskammern für die nächste Mordaktion statt. Zuletzt, da man von ihnen den geringsten Widerstand erwartete, wurden Frauen und Kinder umgebracht. Diese waren während der Vergasung der Männer in der Entkleidungsbaracke und bei den Häftlingsfriseuren, hatten dadurch von den Vorgängen innerhalb des Lagers wenig mitbekommen. In Belzec war es oberstes Ziel, den Vernichtungsvorgang so reibungslos wie irgend möglich durchzuführen. Den Eingang des Gaskammergebäudes zierten Geranien und ein Schild mit der zynischen Aufschrift „Bade- und Inhalationsgebäude“.
Mitte April 1942 wurde das gesamte erste jüdische Arbeitskommando, ca. 700 Personen, erschossen und aus den täglich ankommenden Juden ersetzt. Ende 1942 ordnete Himmler die Beseitigung aller Spuren des Massenmordes in den besetzten Gebieten an, hierfür wurde das „Sonderkommando 1005“ gebildet. Der letzte Deportationszug traf am 11. Dezember 1942 in Belzec ein. Die Gesamtzahl der dort Ermordeten wird auf 450.000 geschätzt, einschließlich einer unbekannten Anzahl von Sinti und Roma. Sieben Juden überlebten das Vernichtungslager Belzec.
Von Dezember 1942 bis März 1943 ließ die SS die Massengräber öffnen und die Leichen verbrennen. Nach Beendigung dieser Arbeiten deportierte die SS die Mitglieder des jüdischen Sonderkommandos nach Sobibor, wo sie vergast wurden. In Belzec ließ die SS nach Abriss des Lagers auf dem Gelände einen Bauernhof erbauen, um alle Spuren des ehemaligen Todeslagers zu verwischen. Wie viele Münchner Jüdinnen und Juden in Belzec ermordet wurden, lässt sich nicht exakt beziffern. Möglicherweise tötete die SS hier Menschen aus dem Transport nach Piaski vom 4. April 1942.
Den Anwohnern und durchreisenden Deutschen blieb der Massenmord nicht verborgen: Weder die Feuer, in denen die sterblichen Überreste verbrannten, noch der durchdringende Verwesungsgeruch und die stets leer zurückfahrenden Züge ließen sich verheimlichen.