
Dr. jur. Siegfried Sami Lichtenstaedter
Kgl. Oberregierungsrat a. D., Schriftsteller, geboren am 08.01.1865 in Baiersdorf, Kr. Erlangen, ledig, deportiert am 24.06.1942 aus München nach Theresienstadt, ermordet am 06.12.1942 in Theresienstadt (27. Kislew 5703 - 3. Chanukka).
ElternWolf Lichtenstaedter, Kaufmann u. Talmudforscher, Sophie Lichtenstaedter, geb. Sulzberger
Adressen in München Zugezogen am 25.10.1886
- Augustenstraße 23/III (seit 02.03.1898)
- Theresienstraße 46/II (seit 20.10.1903)
- Arcisstraße 39/1 (seit 01.08.1910) (bis 03.03.1938)
- St.-Pauls-Platz 6 (seit 04.03.1938)
- Maximilianstraße 9/II (seit 26.06.1939)
- Knorrstraße 148 - Barackenlager
Wuchs in einem religiösen Elternhaus auf, der Vater starb bereits 1872, schon vor dem schulpflichtigem Alter führte ihn die Mutter in die Grundlagen der jüdischen Religion ein. Dr. Siegfried Lichtenstaedter meldete sich im Sommer 1887 nach Erlangen ab, im Januar 1898 zog er erneut in München zu.
Von 1898 bis 1932 in der Bayerischen Finanzkammer beschäftigt. Studierte anfangs Sprachwissenschaften (orientalische Sprachen) in Leipzig, dann Jura. Trat nach dem juristischen Staatsexamen in den bayrischen Finanzdienst, in die Rechnungskammer, einer Filiale des Rechnungshofes, ein. Mit Erreichen der Altersgrenze trat Dr. Lichtenstaedter wenige Wochen vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten als Oberregierungsrat in den Ruhestand.
Seine Schriften liegen auf dem Gebiet der Völkerpsychologie und Politik, hauptsächlich der orientalischen Völker, für die er schon während der Studienzeit durch umfassende sprach- und ethnographische Studien den Grundstock gelegt hatte. "Kultur und Humanität" (1897), "Natur und Kultur" (1900), "Die Zukunft der Türkei" (1898) usw. Im Ersten Weltkrieg fand sein Vorschlag des Bevölkerungsaustausches große Beachtung ("Nationalitätenprinzip und Bevölkerungsaustausch", 1917), unter anderem schlug er vor, die italienische Bevölkerung des Schweizer Kantons Tessin mit der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols auszutauschen. In zahlreichen Schriften befaßte er sich auch mit dem Judentum. So beteiligte er sich an der Diskussion über "Bibel und Babel" (1903) sowie über die Schächtfrage (1927 ff.). 1926 erschien seine Satire "Antisemitica" (diese wurde 2003 neu aufgelegt: ISBN 3-937028-01-3). Ernst dagegen trat er in anderen jüdischen Schriften auf: "Jüdische Religion" (1921), "Praktisches Judentum" (1931) und "Jüdische Politik" (1933). Dr. Siegfried Lichtenstaedter stand dem Zionismus ablehend gegenüber (s. dazu: "Die Zukunft Palästinas", 1934 erschien die englische Übersetzung in London bei Luzac unter dem Titel "The future of Palestine. An appeal to Zionist Jews and the civilised world - by Dr. Mehemed Emin Efendi). Er veröffentlichte hauptsächlich unter Pseudonymen (z.B. Mehemed Emin Efendi u. Ne'man).
Am 25.06.1942 kam Dr. L. (Transportnr. 418) mit Transport II/9 nach Theresienstadt. Von den insgesamt 50 Deportierten dieses Zuges überlebten nur vier die Shoah. Laut Todesfallmeldung des Ältestenrates starb Dr. L. am 06.12.1942 in Zimmer 41 der "Jägerkaserne" (A II) an "Altersschwäche". Die Beisetzung fand zwei Tage später statt.
Weitere Werke: Naturschutz und Judentum. Ein vernachlässigtes Kapitel jüdischer Sittenlehre. Frankfurt am Main 1932 (s. Aufbau. Das jüdische Monatsmagazin, No. 1 2006, S. 30) Siegfr. Lichtenstaedter u. Jussi U. Isaken: Der jüdische Exekutor. Auf 200 ExemPolenare limitierte Vorzugsausgabe mit Originaldruck und exklusivem Zugang zum Archiv Siegfried Lichtenstaedter. Hrsg. u. eingeleitet von Jussi U. Isaken. Illustriert v. Hans-Jürgen Söffker. Köln, 2006 (116 S., 11 Bildtafeln ISBN 3-937028-01-3 - enthält in ungekürzter Form die 1926 erschienene Parabel "Der jüdische Gerichtsvollzieher. Eine Studie aus Anthropopolis") Werke: (Pseud.): Kultur und Humanität. Völkerpsychologische und politische Untersuchungen. Würzburg 1887 (dass. Leipzig 1907-10) (Pseud.): Die Zukunft der Türkei. Ein Beitrag zur Lösung der orientalischen Frage. Leipzig, 1898 (dass. Leipzig 1907-10) Dr. Mehmed Emin Efendi: Das neue Weltreich. Ein Beitrag zur Geschichte des 20. Jahrhunderts. Psychologische und politische Phantasien mit erläuternden Anmerkungen versehen und in drei Teilen hrsg. I. Bd. München 1901. II. Bd. Leipzig 1903. (Pseud.): Natur und Kultur. Ein psychologisch.ethischer Versuch. Leipzig 1909. (Pseud.): Die Balkankrise in völkerpsychologischer Beleuchtung. Leipzig 1912: (Pseud.): Der Kampf um Tripolis. Ein Mahnruf an das türkische Volk. Leipzig 1914. (Pseud.): Moralische Erzählungen. Zur Erbauung und Fortbildung für Politiker. Leipzig 1914. (Pseud.): Das Kriegsziel. Völkerpsychologische Ausblicke. Dresden 1915. (Pseud.): Recht oder Unrecht? Ein Disput über den Völkerkrieg zwischen Edward und Mehmed. Dresden 1915. (Pseud.): Nationalitätsprinzip und Bevölkerungsaustausch. Eine Studie für den Friedensschluß. Dresden 1917. (Pseud.): Die Zukunft Palästinas. Ein Mahnruf an die zionistischen Juden und an die ganze Kulturwelt. Frankfurt am Main 1918. (Pseud.): "Soll und Haben". Versuch einer unparteiischen Rechts- und Schuldbilanz für den Völkerkrieg. Bad Nassau, Winnenden, 1919. (Pseud.): Die Zukunft der Juden. Ein Mahnruf an Zionisten und Assimilanten. Frankfurt am Main 1920. Ne`man: Die jüdische Religion in Gegenwart und Zukunft. Offenen Worte an meine Religionsgenossen. Leipzig 1921. Ne'man: "Die große Täuschung" in völkerpsychologischer Beleuchtung. Offenes Schreiben an Herrn Geheimrat Friedich Delitzsch. Leipzig 1922. Sparsamkeit als vaterländische Pflicht. Schlichte Gedanken. Neuhof 1923. Internationale Unvernunft und Unmoral. Betrachtungen, Warnungen, Anregungen. . Diessen 1925. U. R. Deutsch (Pseud.): Briefe an einen antisemitischen Freund. Leipzig 1926. (Pseud.): Antisemitica. Heiteres und Ernstes. Wahres und Erdichtetes. Leipzig 1926. Ne'eman (Pseud.): Schächtfrage und jüdische Speisegesetze. Offene Worte an Schächtgegner und Juden. Leipzig 1927. Süd-Tirol und Tessin. Zwei national-internationale Fragen mit einer gemeinsamen Lösung. München 1927. Das Ausland-Deutschlandtum in Europa. Seine Kämpfe, seine Gefahren, seine Rettung. Diessen 1928. Ne'man (Pseud.): Schächtfrage und Tierschutz. Ein Appell an Wahrheit und Gerechtigkeit. Leipzig 1929. Ne'man (Pseud.): Praktisches Judentum. (Richtlinien). Leipzig 1931. Naturschutz und Judentum. Ein vernachlässigtes Kapitel jüdischer Sittenlehre von Sr. S. L. Frankfurt am Main 1932. Ne'man (Pseud.): Genurtenregelung und Judentum. Leipzig 1933. Ne'man: Jüdische Politik. Betrachtungen, Mahnworte, Scheltworte, Trostworte. Leipzig, ca. 1933. Die siebenbürgische Frage. Ein Beitrag zur Revisionsfrage, ein Mahnruf an Magyaren und Deutsche. Leipzig 1934 Zionismus und andere Zukunftsmöglichkeiten. Herausforderung zu einer Diskussion. Leipzig 1935. Ne'man: Jüdische Fragen. (Judentum und Judenheit, Lehre und Leben). Leipzig 1935. Jüdische Sorgen, jüdische Irrungen, jüdische Zukunft. Eindringliche Worte an meine Religions-Genossen zur Besinnung. Winnenden 1937.
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